Indianer im Monument Valley

August 15, 2011 von reportagereisen


Etwas nördlich der Stelle, an welcher heute der Interstate 40 den Rio Grande schneidet, liegt der alte Stadtkern von Albuquerque. Die ehemals spanische Ansiedlung duckt sich heute zwischen dem Fluss und der Forest Meadow Range, welche den Rio Grande einige Meilen parallel folgt. Bleich und gezeichnet von flirrender Hitze, streckt sich hier New Mexico, wie ein Masernpatient von zahllosen Kreosotbüschen besprenkelt, bis zum Horizont. Der Rio Grande, der spanisch auch Río Bravo del Norte genannt wird, ist noch nicht so breit wie in seinem südlichen Verlauf. Er fließt noch ziemlich frisch durch die trockene Hochebene, die im Nordosten mit der Sangre de Cristo Range die Ausläufer der Rocky Mountains berührt und im Westen ins Colorado-Plateau übergeht.

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Es waren fast zehn Jahre vergangen, seit ich zum letzten Mal in den Vereinigten Staaten war. Damals, im September 2001, hatten sich die Ereignisse überschlagen. Mein erster Kontakt mit den amerikanischen Sicherheitsbehörden verlief zwar skurril, letztlich jedoch harmlos. Anders die Anschläge in New York und späteren, weltpolitischen Folgen wie der Irakkrieg und der Einmarsch in Afghanistan. All das lag jahrelang wie ein dunkler Schatten über Globalisierung und freier Demokratie. Ich bevorzugte in jenen Jahren die kanadische Wildnis, die letzten roten Sonnenstrahlen auf Kuba und ließ an einem hellen Lagerfeuer im Himalaya mit den Einheimischen die deutsch-tibetische Freundschaft hochleben. Doch lockten mich immer wieder die „dark and bloody grounds“, die alten Goldgräber- und Indianererzählungen und jener Landstrich, an dem sich Himmel und Erde am Horizont berührten. Ich wählte den Weg westwärts und wollte den alten Routen der Siedler und Goldgräber folgen, die sich, auf der Suche nach Land und Reichtum, nach Heimat und Abenteuern, entlang der Arkansas-Route, dem Oregon-California-Trail oder dem Old Spanish Trail nach Kalifornien aufmachten. Ich wählte Albuquerque als Ausgangspunkt meiner Reise, die mich auf mehr als dreitausend Meilen über das Colorado Plateau zum Grand Canyon und südlich des Großen Beckens über die Sierra Nevada an den Pazifik führen sollte.

Unter mir lagen die weiten Ebenen von New Mexico. Eine trockene, von Canyons und vom Rio Grande zerfurchte Landschaft. Es war Samstagabend und der Anflug auf Albuquerque bereits eingeleitet. Hinter mir lagen fünfzehn Stunden Flug; ich war seit etwas mehr als fünfundzwanzig Stunden unterwegs. Der Flug von Amsterdam nach Atlanta verlief dank True Grit und Harry Potter Kinoprogramm relativ zügig. Die amerikanische Art des Gepäcktransportes irritierte mich in Atlanta, dem ersten Ankunftsort auf US-amerikanischem Boden etwas; mussten doch alle Passagiere trotz verschiedener Reiserouten ihre Gepäckstücke persönlich von einem Transportband auf das andere legen. Ich war erst beruhigt, als ich meinen Rucksack auf dem Transportband meines Flugzeuges entdeckte. In einem kurzen Bogen, die Nase der Boeing 717 neigte sich steil nach unten, überflogen wir die Forest Meadow Ranch und landeten pünktlich zum Dinner. Als ich aus dem klimatisiertem Flughafengebäude trat, schlug mir die Abendhitze New Mexicos ins Gesicht. Nichts sollte in diesem weiten Land ohne Klimageräte gehen. Die Entfernungen dieses Kontinents und seine Wüsten sollten erst in den 1930er Jahren schrumpfen. Doch darauf ist noch später zurückzukommen. Mit einem Shuttlebus für ich zur Mietwagenstation, wo ich die Wahl zwischen kleinen Trucks und anderen SUV’s hatte. Ich entschied mich für einen Jeep vom Modell Compass. Der Wagen sollte mir, trotzdem die Öllampe ständig an die Wartung erinnerte, treue Dienste leisten.

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Für mich blieb Albuqerque nur erste Rast. Ich war nach dem langen Flug übermüdet, hungrig und nicht mehr in der Stimmung, meinen Beinen im kühlen Nass des Rio Grande etwas Erholung zu gönnen. Die Sonne verschwand ziemlich zügig, mein Motelzimmer, welches ich mir von Deutschland aus bereits reserviert hatte, war klimatisiert und im mexikanischen Stil hergerichtet. Nachdem ich geduscht hatte, schloss ich meinen ersten amerikanischen Abend mit einem kühlen Bier und hausgemachten Tapas inklusive grünem Chili ab. Albuquerque schien sich seit den Zeiten des Balduin Möllhausen nicht sehr geändert zu haben. Old town lag am folgenden Morgen einsam und träge im Sonnenlicht. Nur einige Kirchgänger liefen über die kleine Don Luis Plaza zum Gotteshaus hinüber. Auf Schnüre gezogenen Chilischoten baumelten lustlos zwischen Andenkenläden und Galerien. Aus einem Fenster griente mir la Catrina, die mexikanische Skelett-Dame, entgegen und bewies den langen Einfluss des südlichen Nachbarn. „Homeland-Security since 1492“ verkündete dagegen ein Aufkleber mit dem Konterfei des Apachen Geronimo und verwies auf die blutige Geschichte der Indianer. Heute zählt die auf über 1.500 Meter Höhe gelegene Stadt mit 480.000 Einwohnern zur größten in New Mexiko. Einige Museen wie das für Klapperschlangen, jenes für die frühen spanischen Cowboys oder das über die Entwicklung der Nuklearbombe im Manhattan-Projekt zeugen von der kulturellen Evolution der Stadt. Einige Straßenschilder erinnern an die hier durchführende legendäre Route 66. Doch der  „Mutter aller Straßen“ stattete ich erst in Arizona einen längeren Besuch ab.

Ich gab meinem Jeep die Sporen, fuhr über den Coronado Freeway zum Interstate 25 und folgte diesem nordwärts nach Santa Fe. Etwa 12 Meilen nördlich von Albuquerque liegt der Sandia Pueblo mit seinem weit erkennbaren Kasino-Ressort. Seit dem 1975 verabschiedeten Indian Self-Determination Act sind die Spielkasinos zum Hoffnungsträger der Indianer geworden. Das Leben für viele Indianer ist nach wie vor erbärmlich; die Arbeitslosigkeit beträgt nahezu 50 Prozent und die Lebenserwartung liegt in den Reservaten bei 47 Jahren. Bernadillo, San Felipe und Santo Domingo Pueblo reihen sich längs des Rio Grande. Die Dörfer (spanisch „Pueblo“) sind meist kleine Häuserreihen in Adobe-Bauweise, den getrockneten Lehmziegeln, einigen staubigen Pisten und im günstigsten Falle einer Versammlungshalle und Basketballplatz. Heute sind in New Mexiko nur noch etwa 19 von ehemals 100 Pueblos bewohnt.

Santa Fe war letztlich wirklich nicht eine dieser typischen amerikanischen Städte. Der Ort passte sich der sanften Hügellandschaft an. Die zahllosen Adobe-Einfamilienhäuser duckten sich zwischen Büschen, Yukapalmen, dem hier noch schmalen Rio Grande und der Sangre de Cristo Range. Kein Wolkenkratzer verschandelte die Landschaft und wies den Weg nach Downtown. So benötigte ich etwas mehr als eine Stunde, verfuhr mich mehrmals und mindestens der mal dieselbe Strasse auf und ab, bis ich in der E Water Street einen Parkplatz fand. Santa Fe erinnerte mich an die kleine Spielzeuglokomotive, mit der ich als Zehnjähriger durch das Wohnzimmer fuhr und stets die Indianer gewinnen lies. Ishta’s Treasures war eine der vielen kleinen Künstlerläden, die den typischen Silber- und Türkisschmuck anbot. Die alte Dame erinnerte mich in ihrer Lederkluft an eine Altachtundsechzigerin und entpuppte sich wahrhaftig als Österreicherin mit schlechtem Akzent. Am alten Gouverneurspalast boten Indianer immer noch ihre selbst gefertigten Schmuckstücke feil und wenige Meter weiter sorgten Steak- und Hotdogbuden für eine kalorienhaltige Nahrungsgrundlage. Ich nutzte die letzten Stunden des Tages und fuhr weiter in Richtung Los Alamos. Der ehemals streng abgeschirmte Stadtkomplex ist die Wiege der amerikanischen Nuklearforschung und Atombombe. Los Alamos ist von typisch amerikanischer Gleichmütigkeit. Die Jemez Mountains strecken sich hier wie die Finger einer gespreizten Hand in die Ebene hinein und die breiten Straßen werden von flachen Holzhäusern mit Flagge und Pickup flankiert. Ein einsamer Ort, wenn nicht das nahe Skigebiet wäre, das historische Bandelier National Monument und eben der Name, der mit Einstein, Oppenheimer und dem Manhattan-Projekt seit den 1940er Jahren so eng verbunden ist. Doch mir fielen in erster Linie die trockenen und teils verbrannten Wälder auf, die Forschungsgelände und kilometerlange Sicherheitszäune vor neugierigen Blicken schützen. Einige Wochen später sollten erneute heftige Waldbrände das mit Plutonium und anderen nuklearem Material vollgestopfte Forschungsgelände bedrohen.

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In den folgenden Tagen fuhr ich über furchtbar lange und einsame Straßen und über teils zerrüttete Schotterpisten. Vereinzelte Blockhütten, Wohntrailer und kleine Ansiedlungen dösten am Wege dahin. Einige Pferde grasten zwischen den zahllosen, winterharten Beifußbüschen, die hier „sagebrush“ genannt werden und sich endlos bis zum Horizont hinziehen. Zerschossene Verkehrsschilder wiesen darauf hin, dass Fahren unter Alkoholeinfluss verboten ist und ein zerschlissenes Werbeplakat markierte den Beginn der Jicarilla-Apachen Reservation und das nahegelegene Spielkasino. Counselors, Lybrook und Blanco Trading Post waren jene typischen Nester, in denen man seinen Stiefel nicht verlieren möchte und hofft, das der Sprit bis zur nächsten Tankstelle reicht.

Über den Highway 191 erreiche ich den Utah. Hier liegen neben dem Großen Salzsee und dem Epizentrum der Mormonen die beeindruckendsten Nationalparks und Naturwunder. So etwas ist ziemlich einfach gesagt und hinterlässt bei mir üblicherweise einen faden Beigeschmack, da es mich meistens an die Werbekampagnen müder und überforderter Marketingstrategen erinnert. Doch als die Felsgebilde der Church Arch, Wilson Arch und vom Looking Glass Rock vor mir auftauchen, finde ich keine Beschreibung für das, was die Natur aus einer Laune heraus geschaffen haben musste. Mir kam alles verspielt und verträumt vor und als ich am folgenden Tag zum Delicate Arch aufbrach, bereute ich es schon, nicht lange hier verweilen zu können.

Moab ist ein kleiner quirliger Ort südlich des Colorado Rivers und Ausgangspunkt der meisten Safaris, Raftingtouren und zum Arches Nationalpark, Canyonland Nationalpark und Death Horse Point State Park. Ich fand im Bowen Motel eine angenehme Übernachtung. Das, für amerikanische Verhältnisse eher ungewöhnliche Frühstück, bestand aus einigen Donuts, Toastscheiben, Kaffee in Styroporbechern und einem Apfel. Eine Stichstraße führte nördlich von Moab in den Arches Nationalpark. Ich fuhr an den Three Gossips, Sheep Rock, Tower of Babel und der Great Wall etwa zehn Meilen bis zum Balanced Rock, der mit akrobatischem Engagement Wind und Wetter trotzte. An der Wolfe Ranch ließ ich meinen Jeep auf dem kleinen Parkplatz stehen, schulterte Kamera und genügend Wasser und machte mich eine Stunde hinauf zum Delicate Arch. Die Sonne stand glücklicherweise noch nicht sehr hoch und die Temperaturen waren noch bekömmlich. Stunden später sollten mir in der Mittagshitze und auf dem Rückweg einige offensichtlich knie- und hüftkranke Amerikaner mit hochrotem Gesicht wie gestörte Yuppies mit Kleinkindern. Doch vorerst nutzte ich meine Energie, um zum Wahrzeichen Utahs zu kommen. Der Weg ist nicht sehr mühsam, geht streckenweise steil bergauf und über mächtige Felsplatten. Vierzehn beeindruckende Meter steht der Felsbogen für die Künstler und Touristen, Neugierigen und zahllosen Fotoapparate Motiv. Im Hintergrund hebt sich das Uncompahgre Plateau mit seinen 3.000 Meter hohen Bergspitzen gegen den Horizont ab und zu Füßen des Bogens liegt ein von Spiralen durchzogener Talkessel. Der Park ist ideal für Biker und Trekker; die Natur als Fotomodel atemberaubend. Im Devils Garden schleppen sich etliche Japaner schwitzend und schwatzend zum Landscape Arch. Nur wenige wandern in der Hitze weiter zum Double O Arch oder zum Dark Angel.

Das Colorado-Plateau ist durchfurcht von Canyons und Bergen. Die Natur hat sich hier selbst übertroffen.

Später machte ich noch einen Abstecher hinauf zum Death Horse Point. Wie eine mächtige Aussichtskanzel hebt sich das Plateau hier 1.830 Meter hoch über den zerrissenen und zerfurchten Canyonrändern, durch die der Colorado River mächtige Bögen beschreibt. Es sind die letzten Ausläufer des Canyonland Nationalparks, den ich jedoch links liegen lies. Der Highway 191 trifft etwas nördlich auf den Interstate 70, der von Denver kommt. Westlich liegt das Kaff Green River, wo endlos scheinende Straßenarbeiten den Verkehr unterbrachen und der Wind tröge durch die Straßen strich. Ich kam beim Tanken immer noch nicht mit dem amerikanischen System zurecht. An manchen Tankstellen sollte ich meine gewünschte Gallonenzahl angeben, an manchen erst die Kreditkarte hinterlegen und an anderen wieder ging beides in Kombination. Es hatte für mich etwas von den drei Stooges, etwas Schildbürgerhaftes und blieb mir doch als Running Gag haften.

Ich nahm bald die Ausfahrt auf den Highway 24, welcher die San Rafael Desert in südlicher Richtung durchquert. Die Straße zog sich endlos dahin und nur noch vereinzelte Autos kamen mir entgegen. Trucks mieden die Strecke vollends. Kurz vor Hanksville schnitt der Dirty Devil River die Straße und die letzten Sonnenstrahlen schwebten über den Escalante Bergen. „Where the devil is Hanksville?“ prangte in Großschrift auf dem rosafarbenen Shirt des Motelbesitzers. Ich kam mir vor wie in einem B-Movie. Kaff im Nirgendwo der Wüste, eine Tankstelle, Motel und Restaurant. Die Leichen lagerten wahrscheinlich in irgendeiner Kühlkammer. Das „Hanksville Inn“ lag verträumt im warmen Abendlicht und der Bettbezug war ebenso rosa wie das Shirt vom Besitzer. Dieser grillte für seine Familie einige saftige Steaks und verwies mich auf die gegenüberliegende Bar, in der ich mir ein schmackhaftes Abendessen gönnte. Hanksville schien ein Familienbetrieb im Nirgendwo zu sein.

Hite waren einige Häuser am nördlichen Ende des Glen Canyon. Die Ansiedlung war wie viele den Goldfunden von 1883 geschuldet und nach ihrem Gründer Cass Hite benannt. Wenige Meilen von der Stelle, wo Dirty Devil und Colorado River in den Lake Powell übergingen. Ich folgte dem White Canyon, der sich schlingernd südwärts zog und im Natural Bridges Nationalmonument seine künstlerische Ader präsentierte. Etwas westlich von Muley Point endete das Plateau abrupt. Tief unter mir lag das Valley of the Gods und streckte als Vorprogramm des Monument Valley einzelne Felsfinger und Überreste abgetragener Plateaus in den Himmel. Ich folgt der steil abfallenden Piste, die sich angstvoll an den Felsen klammerte, grüßte den Mexican Hat und überquerte im Monument Valley die Bundesgrenze nach Arizona.

"Ein junger Indianer saß mit seinem Pferd für Fotos Model und ließ den Hengst immer mal wieder marketingmäßig steigen."

Die Landschaft war staubig, windig und faszinierend. Der Inbegriff des amerikanischen Westens wurde 1959 von den Navajos zum Park erklärt, um die majestätische Natur zu schützen. Im Besucherzentrum von Tse’Bii’Ndzisgaii, wie das Tal von den Indianern genannt wird, dokumentierte eine kleine Ausstellung das Leben der Navajos und Hopis, deren Reservat das größte zusammenhängende in den Vereinigten Staaten ist. John Wayne, der hier mit John Ford seine ersten Filme drehte, ritt im Souvenirshop auf Handtüchern, Plakaten und  Kaffeetassen neben Dreamchatchern und Cowboyhüten „Made in China“. Ein etwa 17 Meilen langer Rundkurs führte auf einer mit mächtigen Schlaglöchern gesegneten Staubpiste durch das Tal über die sich neben Jeeps und Pickups auch einige wagemutige Wohnmobile quälten. Die mächtigen Felstürme, durch Wind- und Regenerosion geschaffen, reckten sich wie Überbleibsel einer vergangenen Epoche gegen den Himmel. Feiner, roter, mehlartiger Sand wurde immer wieder von heftigen Windrosen aufgewirbelt. Elefantenberg und Marterpfahl, Sandbach und Radnabe. Die Navajos hatten jedem der Urgewalten einen Namen gegeben. Am John Ford Point trafen sich die meisten Touristen, die den Weg ins Tal hinein gewagt hatten. Ein junger Indianer saß mit seinem Pferd für Fotos Model und ließ den Hengst immer mal wieder marketingmäßig steigen. Indianerinnen verkauften den traditionellen wie bekannten Silberschmuck mit blauen Türkiseinsätzen an Japaner, Franzosen und Deutsche. Weit hinten im Tal duckten sich einzelne Wohntrailer und Blockhütten gegen die Felswände und boten den Indianern Heimat. Um sich dem Gefühl von Marlboro-Freiheit und „Spiel mir das Lied vom Tod“ ganz hingeben zu können, boten die geschäftstüchtigen Navajos auch Reittouren durchs Gelände an. Am „Nordfenster“ trommelten zwei dicke Navajos für eine Schar japanischer Touristen einige Indianerrythmen und ließen sich dabei ausgiebig fotografieren. Kayenta war für mich die letzte Station, bevor ich mich über den Highway 160 weiter in Richtung Westen fuhr. In der kleinen Stadt leben fast 5.000 Indianer; die Retortenwohnungen reihen sich aneinander, eine Tankstelle und ein Store, MacDonalds und drei Motels vervollständigen das Nest, welches jährliche Rodeos veranstaltet. Die Indianer lassen sich hier nicht lumpen, haben die frühen Geldüberfälle umgedreht und verlangen für eine Übernachtung schlappe 180 Dollar.

Einige Meilen östlich des Desert View verließ ich das Indianerreservat. Eine schmale Straße führte mich zum östlichen Eingang des Grand Canyon. Das oberste Sehnsuchtsziel aller Amerikaner ist ein Naturwunder par excellence. Der South Rim lockt die meisten Besucher das ganze Jahr, während der North Rim ein Schattendasein führt, da er nur über den Umweg von Page zu erreichen ist.

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Am Desert View machte ich die erste Bekanntschaft mit dem „Volksliebling Nr.1“. Der in den 1930er Jahren erbaute Aussichtsturm wurde im Innern u.a. vom Hopi-Künstler Fred Kabotie mit mythischen Szenen und Wandmalereien gestaltet. Doch der Blick aus den angekratzten Fenstern war nicht sehr ergiebig. Allein der Blick außerhalb des Gebäudes verschaffte genügend Ehrfurcht. Berauschend und mächtig lagen die Schluchten des Grand Canyon unter mir. Tief unten formten immer noch die Fluten des Colorado-River die Szenerie. Die große Schlucht ist ein seit Millionen Jahren gestaltetes Gemälde von 460 Kilometer Länge, bis 30 Kilometer breit und 1.800 Meter tief. Während die Gegend bereits vor 3.000 Jahren besiedelt wurde, leben noch heute einige Havasupai-Indianer im Canyon. Als erster Europäer stieß García López de Cárdenas aus Spanien auf den Grand Canyon. López war im September 1540 im Auftrag des Eroberers Francisco Vásquez de Coronado auf der Suche nach den sagenumwobenen Sieben Städten von Cibola. Die wissenschaftliche Expedition unter Führung des einarmigen John Wesley Powell, der am 24. Mai 1869 mit neun Mann und vier Holzbooten in Green River, Wyoming aufbrach, wurde die berühmteste Exkursion in die Gegend, die Poewll auch ihren heutigen Namen verdankt. Im Januar 1908 wurde das Gebiet um den Grand Canyon durch US-Präsident Theodore Roosevelt zum National Monument erklärt; am 26. Februar 1919 wurde es als Nationalpark unter Schutz gestellt.

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Ich folgte der schmalen Straße, die sich südlich der zerrissenen Canyonflanke bis zum Grand Canyon Village zog. Wie an einer Perlenkette reihten sich die Aussichtspunkte Navajo Point, Lipan Point, Papago Point, Moran Point und unzählige weitere aneinander. Einige waren mit dem Jeep zu erreichen, andere einen kurzen Fußmarsch notwendig. Lohnenswert waren sie alle. Glücklicherweise waren die jährlich fünf Millionen Besucher an jenen Tagen nicht zu spüren. Einige Rehe und Hirsche grasten zutraulich am Straßenrand und hoben manchmal bettelnd und neugierig ihre Häupter. Für meinen Zeltplatz musste ich fast zwei Stunden in brütender Hitze anstehen und kam mir vor wie in einer VW-Kantine, wenn es Currywurst gibt. Doch hatte ich nun genügend Zeit, mir das Dorf anzusehen, welches zwischen Ponderosakiefern und Wacholderbüschen direkt am Canyonrand liegt. Das Geschäft mit den Touristen begann mit der Ankunft der ersten Eisenbahn im September 1901. Die Bright Angel Lodge existierte bereits damals und das luxuriöse El Tovar öffnete 1905 seine Pforten. Da die Parkverwaltung der anhaltenden Blechlawinen heute nur schwer Herr wird, wurde die 1968 geschlossene Bahnlinie 1989 mit historischen Loks wieder aufgenommen; manche Strecken sind für den Autoverkehr gesperrt und werden mit Hybridbussen bedient. Ich genoss den Sonnenuntergang, der lange Zeit sein warmes Licht über die Felshänge und Schluchten goss. Ein kleines Eichhörnchen kam zutraulich auf mich zugerannt, als ich einen Keks aus der Tasche hervorkramte. Aus großen, wehmütigen Augen schaute er zu mir herauf und streckte seine kleinen Pfoten bettelnd aus. Er schien das Hinweisschild „Füttern verboten“ nicht gelesen zu haben oder ignorierte es einfach herzhaft. Der Kleine war mir sympathisch.

Im Hopi House, welches heute als Besucherzentrum dient, kam ich mit dem jungen Verkäufer ins Gespräch, der kurze Zeit in Deutschland stationiert war und nach Afghanistan abkommandiert worden war. Wie lange ich schon unterwegs sei, was ich alles schon gesehen hätte und wo ich noch hinwill. Als ich ihm erzählte, dass ich nach Las Vegas wollte, leuchteten seine Augen. „Sure you have a great time. Vegas is party round the clock.”, zwinkerte er mir zu. Der Skywalk, beeindruckende Touristenattraktion im Indianerreservat, lockte mich nicht mehr, nachdem ich erfahren hatte, das Fotografieren verboten war, das Ticket exorbitant hoch war und die Anfahrt nur über eine Schlaglochzerfressene Schotterpiste möglich war.

"Aus großen, wehmütigen Augen schaute er zu mir herauf und streckte seine kleinen Pfoten bettelnd aus."

Während am folgenden Morgen die ersten Mulis mit ihren Touristen über den Bright Angel Trailhead zum Grund des Canyons aufbrachen, stattete ich der „Motherroad“, der Straße aller Straßen“, der Route 66, einen Besuch ab. Nicht das manche Straßen, über ich bis dahin gefahren war, nicht auch eine Route 66 hätten sein können. Einsam gelegen, nur von dürren Gestrüpp und spärlichem Verkehr frequentiert, führten auch diese Straßen in Richtung Westen. Doch der Mythos der Strecke Chicago – Los Angeles war nicht zu brechen. Wenn er während der großen Depression zum Hoffnungsträger einer verlassenen Generation wurde, so mutierte er dank Easy Rider zum Freiheitsmythos. „Get your kicks on Route 66“. Der Mythos wurde seit den 1950er Jahre unter vier- und sechsspurigen Interstates und Highways begraben. Doch Seligman war das Nest, das sich den Mythos bis heute bewahrt hatte. Andere Ortschaften waren nur zum Tanken gut und lockten nicht mit einem Aufenthalt. Doch Seligman hatte ausrangierte Chevrolets und Cadillacs, alte Straßenschilder und Motels, die den Mythos aufrecht hielten. Im Barbershop hing neben unzähligen Nummernschildern aus Illinois, Minnesota, Havelland und Sangerhausen auch ein Wimpel des FC Dynamo Dresden. Ich machte eine Rast in Lilo’s Cafe, die die deutsche Bar an ihre Enkelin weitervererbt hatte. „Stammtisch“ grinste mir vom Nachbartisch gemütlich deutsch entgegen. Vor dem Cafe parkten ein paar ältere Motorradfahrer ihre schweren Harleys und tauschten sich in schwäbischem Dialekt über die letzten Erlebnisse aus.

Seligman schien auch Rangierzentrum der amerikanischen Bahn zu sein, die hier ihre endlosen Güterwaggons ständig anrucken lies. Etliche Waggons waren mit Militärfahrzeugen beladen, die, ihrem Anstrich nach zu urteilen, für den Einsatz in Wüstengebieten eingeplant waren. Die Route 66 streifte Nelson, Valentine und Hackberry, bevor sie in Kingman wieder auf den Interstate 40 traf. Im letzten Tageslicht fuhr ich nordwärts, querte die Black Mountains und den Hoover Staudamm und übernachtete in Boulder City.

In Seligman lebt der Mythos der Mutter aller Straßen weiter. Alte Cadillacs rosten neben schweren Harelys, die von ihren Besitzern auf eine kurze Rast abgestellt sind.

Der in den 1930er Jahren erbaute Damm war ein Gigant und lag direkt auf der Bundesgrenze zwischen Arizona und Nevada. Die gewaltige Ingenieursleistung liefert seit Jahrzehnten Strom bis nach Los Angeles und hält Las Vegas am Leben. Doch während in frühen Jahren der Colorado-River durch Überschwemmungen das Fürchten lehrte, überwiegen heute die ökologischen Probleme des gefesselten Riesen.

„Welcome to fabulous Las Vegas“ grüßt ein Schild am Ende des Las Vegas Boulevards, der hier nur „The Strip“ genannt wird. Ich checke im Circus Circus am anderen Ende der Hauptvergnügungsmeile Amerikas ein. Es ist eines der vielen Hotelkasinos, welches mit einem bestimmten Thema seine Besucher lockt. Während im Caesars Palast Kleopatra am Arm von Cäsar flaniert, hat sich „Treasure Island“ der Piraten angenommen und The Venetian des Dogenpalastes und einer schmalen Lagune, die ziemlich wasserlos und reparaturbedürftig in der flirrenden Hitze dalag. Die Neonmetropole bot, was sie versprochen hatte. Fünf, zehn aneinander aufgereihte Roulettetische, Poker, Black Jack und einarmige Banditen versorgten in klimatisierten Räumen die Neugierigen und Spielsüchtigen. „… die Schlitz-Automaten (in des Wortes zwiefacher Bedeutung), in die man das Geld hineinsteckt und verschiedentlich drückt, und dann arbeitet etwas in dem Blechbauch, und herauskommt Geld oder nicht. Von diesen Ungetümen standen in so einer Halle zweihundertfünfzig oder dreihundert Stück, und jeder Fanatiker hockte angespannt vor seinem Kasten, ganz mit sich allein, dumpf brütend, doch die Augen glänzend, und wartete und wartete – sollte ich je die Einsamkeit der Onanie ins Bild bringen wollen, so wäre dies gewiß das Genaueste.“ beschrieb1988 der Ostdeutsche Manfred Jendryschek seine Eindrücke.

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Während im Circus Circus noch in die Jahre gekommene Tänzerinnen Erfrischungsgetränke verkauften, boten im Mirage, New York New York und MGM Grand halbnackte Sirenen ihre Hilfe an. Ich bewies für die Spielerei nicht das richtige Talent. Die Spielautomaten klimperten nicht mehr mit Münzen, sondern spuckten nur noch Voucher aus. Wenige Meter neben mir setzte ein junger Amerikaner 400 Dollar an einem Roulettetisch, verlor und ging, ohne mit der Wimper zu zucken, mit seiner Freundin weiter. Eine Alte im Rollstuhl versenkte ihre Dollarscheine in einen Spielautomaten „Kenny Rogers, The Gambler“. Religion und Hautfarbe spielte keine Rolle im Spielerparadies. Schwarze saßen neben Chinesen und zockten Amerikaner und Franzosen beim Poker ab. Während draußen die Hitze der Wüste durch die Straßen strömte und die Fontänen und Wasserbecken verdunsten half, schwitzten im Excalibur und Imperial Palace Hausfrauen und Yuppies, frisch verheiratete Pärchen und Teens trotz Klimaanlage ihren Gewinnen entgegen. An den Kreuzungen boten Inder unzählige Visitenkarten von Kira und Casey, Amber und Tamara feil. Die Party ging 24 Stunden. Im MGM Grand zauberte immer noch der in die Jahre gekommene David Copperfield, während vor dem Mirage eine Büste an die Deutschen Siegfried und Roy erinnerte.

Wäre in den 1930er Jahren nicht mit dem Bau des Hoover-Damms das Arbeitercamp Boulder City entstanden und das Glücksspiel legalisiert worden, wäre das Schicksal von Las Vegas vermutlich besiegelt gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg blühte die Stadt unter der Regie von Mobster Bugsy Siegel auf. Später zog Frank Sinatra mit seinem Rat Pack Dean Martin, Sammy Davis Jr., Joey Bishop, Peter Lawford und Shirley MacLaine durch die Shows und Kasinos. Elvis, obwohl bei seinem ersten Auftritt 1956 im New Frontier Hotel mit erheblicher Publikumskritik gestraft, verschaffte der Spielermetropole ab 1969 im Hotel International neuen Glanz. Heute kann man in den zahlreichen Wedding-Chapels zu Elvis‘ Musik heiraten oder sich von mehr und weniger begabten Elvis-Imitatoren unterhalten lassen. „Elvis lebt doch“ schoss es mir durch den Kopf, als „Viva Las Vegas“ aus dem Radio klang und ich den Strip hinunterfuhr. Zehn Jahre waren vergangen, seit ich das letzte Mal Elvis in Graceland besuchte. Doch der 11.September lag soweit zurück, wie ich noch Meilen vor mir hatte und bisher hatte ich noch kein Treffen mit den US-Marines.

Ich gönnte mir in der Nacht trotz wundgelaufener Füße noch einen Ausflug auf den Stratosphere Tower, der mir dies mit einem herrlichen Ausblick auf das hell leuchtende Vegas belohnte. Am nächsten Morgen, einem Sonntag, fuhr ich noch hinunter in die Fremont Street, Downtown. Während sich einige Penner in den Seitenstraßen tummelten, verhaftete ein Polizist in der Nähe des El Cortez Hotel eine Schwarze. In der, aus Gründen des Denkmalschutzes mittlerweile überdachten Freemont Street trafen sich früher Spieler, Showgirls und die Mafia. Die Automobilverliebten Amerikaner stellte an jenem Sonntag ihre liebevoll restaurierten Oldtimer zur Schau. Buick, Mustang und Chevrolet glänzten zufrieden neben aufgemotzten VW-Käfer und Spitfire. Betty Bu und Elvis lagen vertraut als Aschenbecher, Haftmagnete und Untersetzer in den Regalen und für mich wurde es Zeit, nach Kalifornien zu fahren.

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Von Las Vegas führte mich der Highway 95 nördlich zwischen den La Madre Bergen und der Sheep Range hindurch. Es ist eine trostlose und lebensfeindliche Gegend, die von meterhohen Yuccas und dornigem Strauchwerk zersetzt ist. Bei Indian Springs, einem einsamen Kaff mit Militärflughafen, stieß ich zum ersten Mal auf das Sperrgebiet um Nellis Range. Ich folge westlich dem Militärgebiet durch die karge Wüstenlandschaft. Der Nevada National Security Side komme ich südlich von Mercury am nächsten. Auf dem Testgelände fanden in den 1950er Jahren 119 oberirdische Kernwaffentests statt, bevor diese bis zum Teststopp-Memorandum 1992 unter die Erde verlegt wurden. Schilde weisen immer wieder auf das Sperrgebiet hin das nur ab und an von Zäunen markiert wird. Doch das Wissen um die zahlreichen elektronische Überwachungssysteme und Sensoren, private Wachdienste, die Atomenergiebehörde und letztlich des Militärs locken mich nicht ins Gelände. Die Meilen zwischen Sperrgebiet und Amargosawüste zogen sich endlos hin. Ab und an eine leichte Kurve, ein kleiner Hügel, am Horizont einige Berge. „Yucca Mountain Travel Center“. Ein riesiges Werbeplakat wies auf die letzte Tankmöglichkeit vor der legendären Area 51 hin. Doch ich hatte mich für das Death Valley entschieden und bog kurz vor der Sacrobatus Flat nach Westen ein.

Die Hitze war bereits unerträglich und zeigte 95 Grad Fahrenheit an, was etwa 35 Grad Celsius entspricht. Ich war froh, dass meine Klimaanlage funktionierte und penibel darauf bedacht, immer genügend Benzin im Tank zu haben. Bereits in Albuqerque hatte ich mir einige Wasservorräte zugelegt. Selbst im 21.Jahrhundert ist die Natur unerbittlich und straft jeden Fehler mit grausamer Härte. Erst im August 2009 war ein elfjähriger Amerikaner im Death Valley verdurstet, nachdem er und seine Mutter bei einem Ausflug mit ihrem verunglückten Jeep tagelang festgesessen hatten. Ich nutzte die Möglichkeit in Beatty zu tanken. Meine Tankperformance lies, als aus der Zapfpistole nichts herauskam, wieder zu wünschen übrig. Doch die Alte hinter dem Tresen nuschelte nur etwas von „Du musst doch wissen, wieviel Du tanken willst, aber bezahl vorher“ und der Cowboy neben mir mit zerschlissenen Jeans und einem Colt im Holster griente mich nervös an. „Tolle Zustände“, dachte ich, drückte der Alten zehn Dollar in die sehnigen Hände und machte, dass ich weiterkam. In Ryholite stieß ich zum ersten Mal auf eine jener zahllosen Geisterstädte, die im Zuge von Goldfunden gegründet und nach der letzten Ausbeute wieder verlassen wurden. Die Überreste der Cook Bank, Warenhaus und Schule lagen am Fuße der Grapevine Berge. 1905 aus dem Nichts gegründet, lebten drei Jahre später 8.000 Menschen in dieser kargen Gegend. 1910 war bereits wieder alles vorbei; die Post schloss 1919 und im Jahr darauf lebten nur noch 14 Leute zwischen den nun langsam zerfallenden Häusern.

Ich erreichte den Death Valley Nationalpark von Hells Gate aus. Die Hitze war sagenhaft und das Thermometer zeigte nun 100 Grad Fahrenheit (knappe 38 Grad Celsius). Der Wind blies warm und brachte keine Kühlung. In Stovepipe Wells fand ich Quartier. Die kleine Ansiedlung bestand nur aus Motel, Warenhause und Tankstelle. Eine Plakette wies auf die Historie hin, als 1849 die sogenannten 49er auf dem Weg zu den Goldfeldern Kaliforniens hier vorbeikamen. Ich nutze die restlichen Stunden und fuhr zum Badwater Bassin, dem mit 86 Meter unter Meeresspiegel zweittiefsten Punkt der Erde.

Tabriskie Point, Death Valley

Zabriskie Point, durch das gleichnamige, als links und antiamerikanisch denunzierte Roadmovie des italienischen Regisseurs Michelangelo Antonioni bekannt geworden, lag mit seinen bizarren Felsformationen im warmen Abendlicht unter mir. In der Nacht genieße ich die warme Luft des Tales, das vorzügliche Menü von Stovepipe Wells und die erfrischenden Bahnen im Moteleigenen Swimmingpool. Der Barkeeper ist ein alter, freundlicher Kauz, dem es eine sichtliche Freude ist, in dieser meist nur von Touristen stark frequentierten Einöde etwas über deren Herkunft zu erfahren. „Deutschland? Ja, meine Großmutter stammt daher. War ich auch schon. Am Rhein. Nette Gegend. Spreche aber kein Deutsch. Ah, in Las Vegas gewesen? Ja hier ist es aber auch schön.“ Was dem einen seine Party in der Glitzermetropole war mit Black Jack und hohen Verlusten, war dem anderen sein Death Valley.

Das Interessante an Reisen sind im Grunde genommen die Menschen. Skurrile Typen, Hippies und Yuppies, aalglatte Manager und Lokalpolitiker, Hausfrauen und Penner. Seit den Zeiten der Globalisierung nähern sich die verschiedensten Kulturkreise immer mehr. Global Player waren früher die Macher, Lenker und Charaktere nach denen aufgeschaut wurde und die bestaunt wurden. Was in frühen Jahrhunderten Kaufleute und Handelsreisende waren, wurden später Models, Banker und Manager. Jetlaggeplagt aber immer gut gestylt. „Haben Sie genügend Auslandserfahrung gesammelt“ hieß es im jungen 21.Jahrhundert in üblen Bewerbungsgesprächen. Das die jungen Nachwuchskräfte auf Party in Barcelona und St.Petersburg waren, wird zwar hoch angerechnet; auch das sie später viele Jahre Erfahrung als Vertriebsleiter, Personalreferenten und Niederlassungsleiter haben und eben diese Erfahrungen auch im Ausland gesammelt haben, jedoch sagt es nichts über die Charaktere aus. Stets unterwegs, immer flexibel sind einige unter ihnen, die ohne Charakter sind und oft üble Spießgesellen, die in verantwortungsvollen Positionen arbeiten oder einfach für miese Stimmung sorgen.

Die Berge, von Gletschern vor Jahrmillionen rundgelutscht, stehen im krassen Gegensatz zum südlich gelegenen Kings und Sequoia N.P. "Simple Living" nickten mir die Amerikaner zufrieden zu, als sie ihr Picknick mit Käse und Rotwein abhielten.

Ich passierte bei Lone Pine eine von Bimsgesteinen übersäte und alten Vulkanen geformte Hügellandschaft und war gezwungen, um die schneebedeckten Berge der Sierra Nevada in einem weiten südlichen Bogen zu fahren. Von Westen her drückten schwere Wolkenbänke gegen die Bergketten. Verkohlte Baumstämme erinnerten an die schweren Feuersbrünste der letzten Jahre. Die Vereinigten Staaten wurden schwer geprüft. Im mittleren Westen tobten seit Wochen verheerende Tornados; der Mississippi war auf einer gigantischen Länge über die Ufer getreten und hatte Land und Häuser unter Wasser gesetzt. Und in New Mexico fraßen sich bereits die ersten Feuer der Saison durch die Wälder. In Three River, einem kleinen Touristenort am Fuß des Sequoia Nationalparks übernachtete ich im Lazy J Ranch Motel. Die Betreiberin war eine junggebliebene Dresdnerin, die aus Liebe vor etwa zehn Jahren nach Kalifornien gekommen war. „Wie es in Deutschland aussah? Ja, mit ihren Verwandten stehe sie noch in engem Kontakt. Aber es ist schön auch andere Ansichten zu hören.“ Das Arbeitsklima war in Deutschland bereits vor zehn Jahren schlimm, besonders im Osten und so fiel es ihr nicht schwer, nach Amerika zu ziehen. Das das Klischee des sinnbefreiten, wichtigtuerischen Westchefs, der im Osten erst mal zeigen will, wie gearbeitet wird, zwanzig Jahre nach dem Mauerfall immer noch tägliche Realität sein kann, konnte ich leider aufgrund eigener Erfahrung nicht dementieren.

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Im Sequoia N.P. drückten sich die Regenwolken gegen die Bergspitzen; glücklicherweise war ich haarscharf an den Regenschauern der letzten Tage vorbeigekommen. Doch je höher mich die Straße in die Berge brachte, umso dichter wurde der Nebel. Irgendwann steckte ich im Nebel fest, schoss ein paar Fotos in das graue Nichts, aus dem einzelne Giganten hervorschimmerten und machte mich wieder auf den Rückweg. Über einen breiten, abwärts führenden Wanderpfad erreichte ich im Sog der anderen Touristen den größten lebenden Baum der Erde. Der gewaltigste Vertreter der Riesenmammutbäume (Sequoiadendron giganteum) trägt den Namen des Nordstaatenoffiziers General Sherman und wird auf ein Alter von etwa 2.500 Jahren geschätzt. Die häufigen Waldbrände in der Sierra haben ihre Narben in den Bäumen hinterlassen, die aufgrund ihrer faserigen Rinde zu den Arten der Pyrophyten zählen. Auf dem Weg zum Dorst Creek machte ein Schwarzbär Picknick und ließ sich die jungen, saftigen Gräser einer wasserdurchtränkten Wiese schmecken. Eine Parkrangerin stand mit schussbereitem Revolver am Straßenrand, um im Notfall Bär und neugierige Touristen auf sicherem Abstand zu halten.

Auf dem Weg zum Yosemite Nationalpark übernachtete ich in einem in die Jahre gekommenen Motel in Squaw Valley, einem der endlosen „Drive-Thru-Villages“. Der Yosemite empfing mich mit herrlichstem Sonnenschein, bezaubernden Ausblicken und Small Talk mit einigen Einheimischen. Mein Plan, über den Tioga Pass zum Mono Lake zu fahren, lief ins Leere. Der Winter hatte Anfang Juni die Straßen im Griff und der Pass wurde erst im Juli geöffnet. So blieb mir nur der Umweg über den 2.900 Meter hohen Sonora Pass. Meterhohe Schneewehen schmolzen in der wärmer werdenden Sommersonne langsam dahin und nur einzelne Camper trotzten den kalten Nächten.

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Das während des Goldrauschs Ende der 1850er Jahre gegründete Bodie ist eine der am besten erhaltenen und bekanntesten Geisterstädte Nordamerikas. Die Stadt schien, obwohl nur noch fünf Prozent aller Gebäude existieren, soeben erst verlassen worden zu sein. 1879 lebten hier fast 10.000 Menschen. Zur Blütezeit gab es 2.000 Gebäude, davon 65 Saloons entlang der Hauptstraße, ein Rotlichtviertel mit zahlreichen Bordellen, ein Chinesenviertel mit einer Opiumhöhle, eine Eisenbahn, mehrere Zeitungen, sieben Brauereien und einige Kirchen. Schießereien, Überfälle, Raub und Straßenkämpfe waren an der Tagesordnung und trugen dazu bei, der Stadt den Ruf der Gesetzlosigkeit zu untermauern und die Legende vom „Banditen aus Bodie“ zu bilden. Harte und kalte Winter wechselten mit trockenen, heißen Sommern ab („the worst clima out of doors“). Ein kleines Mädchen, das mit seiner Familie in die abgeschiedene und berüchtigte Stadt zog, fasste die Situation in einem Satz zusammen: „Goodby God, I’m going to Bodie.“

Die Geisterstädte sind letzte Zeugen vom Goldrausch, der im 19.Jh. zahllose Prospektoren nach Kalifornien trieb.

Über den Highway 207 kam ich am Lake Tahoe vorbei, schraubte mich auf einer kurvenreichen, mit faszinierenden Ausblicken reich versehene Straße über den Echo Summit Pass und dann hinunter ins kalifornische Central Valley. Ich war froh, als ich durch den Feierabendverkehr von Sacramento durchgekommen war. So entspannend das Fahren auf den endlosen Highways auch sonst war, so stressig war es in den Ballungszentren. Geschwindigkeit bedeutete hier nichts und überholt wurde kreuz und quer. Kaliforniens mondänes Weinbaugebiet fand ich durch Zufall im Napa-Valley. Die Gegend zählt zu den besten Anbaugebieten für Rotweine. Während im südlichen Teil vor allem Chardonnay und Pinot Noir angebaut werden, wachsen nördlich der Stadt Napa praktisch nur Cabernet Sauvignon und Merlot. Beringer, das älteste Weingut des Tales, entdecke ich ebenfalls zufällig. Die Mainzer Winzer Friedrich und Jacob Beringer legten im 19. Jahrhundert den Grundstock für das edle Weingut, in welchem neben Charles Laughton und Clark Gable auch Elvis und Diana Dors einen Cabernet Sauvignon oder Sauvignon Blanc lupften.

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Der Weg zur Küste führte über eine halsbrecherische und abenteuerliche Straße. Als ich östlich von Point Arena über steile Serpentinen aus den Bergen kam, empfing mich der Pazifik wild und stürmisch. Meine letzten kalifornischen Tage verbrachte ich an der Pazifikküste, deren Leidenschaft manchmal stürmisch blieb, jedoch auch ihren sanften, wehmütig warmen Charakter zeigte. Die frühe amerikanische Geschichte der Russen entdeckte ich in Fort Ross, welches als südlichster Handelsposten 1812 errichtet, 1841 an Johann August Sutter, auch als Kaiser von Kalifornien bekannt, verkauft und 1962 zum National Historic Landmark erklärt wurde.

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San Franzisco erreichte ich von Norden über den Küstenhighway „One“. Die zahlreichen, heute den Besuchern freigegebenen Forts um die Buchteinfahrt zeugen von der strategischen Lage. „Der Schlüssel zur gesamten Pazifischen Küste“ lag im während des Bürgerkrieges neu gebauten Ford Point, welches als einzigartiges Beispiel fortschrittlicher Küstenbefestigungen galt. Ich hatte es schwer, mich bei dem steten Pazifikwind auf den Beinen zu halten. Etliche Kitesurfer nutzen den Wind direkt unterhalb der Golden Gate Bridge, schwerbeladene Containerschiffe passierten die schmale Durchfahrt, Möwen ließen sich vom Wind treiben und hofften von den zahlreichen Krabbenfischern ein Dessert zu erhaschen und die Küstenwache rettete einen sichtlich erschöpften Surfer vor dem Ertrinken. Ich lief durch die Straßen von San Francisco, gedachte Steve McQueen, Karl Malden und der Digedags und gönnte mir am Hafen einen knackigen Chardonnay und frische Schrimps.

Der Zugang zum 17-Mile-Drive kostete mich meinen letzten Barreserven in Höhe von neun Dollar. Doch wie mir ein Freund versprochen hatte, lohnte es sich, das Geld dafür auszugeben. Die Rundstrecke führt durch eine exklusive Villengegend, entlang von Golfplätzen, alten Zypressenwäldern und Robbenkolonien. Ich machte meine Studien an Japanern, Franzosen und dicken Murmeltieren und fuhr spät am Abend über Carmel-by-the-sea wieder zurück Richtung San Francisco, wo mich am nächsten Tag mein Flieger wieder nach Europa brachte.